Beratung, Seelsorge, Coaching

Der Umgang mit Angst in Krisenzeiten

«Hast du Angst?» Diese Frage hat mir erst vor ein paar Tagen eine Person gestellt.

Datum
30. April 2020

Dialog mit der Angst

«Hast du Angst?» Diese Frage hat mir erst vor ein paar Tagen eine Person gestellt. Ich habe nach einer Pressekonferenz und den ausführlichen Erklärungen des Bundesrates zur Coronakrise unser wöchentliches gemeinsames Mittagessen abgesagt. Diese Frage hat an meinem Fundament gerüttelt. Habe ich denn wirklich Angst? Darf ich Angst haben? Was mache ich mit der Angst?

Angst – eine Realität im Leben

Angst gehört zu unserem Leben. Sie hat eine zweifache Funktion. Einerseits ist sie eine Warnung bei Gefahren, ein Signal aufzupassen und andererseits beinhaltet sie einen Aufforderungscharakter, den Antrieb die Angst zu überwinden. Darum ist die Angstsituation in dieser doppelten Weise anzuschauen: als Chance und Bedrohung. Als Chance sehe ich sie, wenn wir Begrenzungen überwinden können. Wenn ich sie ernst nehmen und hinhöre, was die Angst mir zu sagen hat.

Als Bedrohung zeigt sie sich, wenn wir, wie mit der Coronakrise, nicht wissen, was uns erwartet. Das löst Angst aus…auch bei mir. Die mit der Angst verbundenen Gefühle sind höchst unangenehm. Darum wollen wir den Zustand der Angst vermeiden oder rasch beenden. Auch spiegelt sich die Angst in unserem Verhalten. Unser Denken und Handeln werden immer mehr ausgeschaltet und wir fühlen uns wie gelähmt. Unfähig, konzentriert zu sein und Entscheidungen zu treffen. Die Angst ist wie eine Mauer, die uns die Sicht nimmt und die Freiheit raubt. Wie aber können wir die Angst überwinden?

Mit der Angst ins Gespräch kommen

Das eigentliche begriffliche Gegenüber zur Angst ist für Tillich[1] der Mut. Mut ist, etwas wagen oder Stellung beziehen auch wenn ich nicht weiss, was danach kommt. Das heisst auch, ich stelle mich der Angst. Für mich bedeutet es auch auf die Frage der Bekannten «Hast du Angst», dass ich dazu stehe und ihr offen sage «Ja, ich habe auch Angst». Mutig heisse ich die Angst «willkommen» und nehme sie ernst.

Die Angst will wahrgenommen und gehört werden. Ich suche das Gespräch mit ihr. Frage nach, woher kommst du, was möchtest du mir sagen. Mein Blick richtet sich nicht mehr auf die unüberwindbare Mauer, sondern nach innen in den «Garten» der Möglichkeiten und bereits gemachten hilfreichen Erfahrungen.

Eine konkrete Möglichkeit ist, die Angst auf «Distanz» zu bringen. Diese Methode nennt sich «Distanzierungstechnik». In einer Imaginationsübung (innerliche Bilder) kann ich die Angst «wegpacken» in einen Behälter und an einen entfernten Ort bringen.

Ein idealer Ort um die Angst abzuladen ist bei Jesus am Kreuz. ER kennt die Angst höchstpersönlich. Jesus hat es uns vorgelebt, mit der Angst umzugehen. Er hat das Gespräch mit Gott gesucht (erinnern wir uns an die Situation im Garten Gethsemane) und ihm all seine Gedanken und Gefühle übergeben.

 

[1] P.Tillich, deutscher und später amerikanischer Theologe und Religionsphilosoph

Fazit

Auch wenn die Angst mich in der aktuellen unsicheren Zeit immer wieder einholt, ich bleibe im Gespräch mit ihr. Ich drücke sie nicht weg oder betäube mich, dass das Gefühl nicht mehr spürbar ist. Mir hilft es, dass ich auch bewusst nicht alle Nachrichten lese und schaue. Social-Media-freie Zeit helfen mir, mich zu fokussieren und achtsam zu werden, was sich in mir meldet. Im (inneren) Gespräch versuche ich es zu ordnen und eine Richtung zu geben. Bleiben wir im Gespräch mit uns, mit Gott und mit unserem Gegenüber. Dann werden wir mutig und können unsere Ängste überwinden!

Angst macht Mut

Abschliessend ein Gedicht von Andrea Schwarz:

Wer die Angst nicht kennt, ist auch nicht mutig,

schlimm ist nur die Angst vor der Angst.

Die Angst will Dir helfen, will Dir Wichtiges sagen,

sie weiss, es wird Zeit, etwas zu tun.

Hab Vertrauen zu Deiner Angst

Und stell Dich dem wachsenden Mut nicht entgegen.

Er wird stark sein zur richtigen Zeit.

Mut kennt die Angst.